Was ist… das Stanford-Prison-Experiment?

Lügen, Missverständnisse und Schauspiel

In den Jahren nach seiner Veröffentlichung stand das Experiment gerade in Forscherkreisen in heftiger Kritik. Der erste Artikel über das Experiment etwa, wurde nicht in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht, sondern im New York Times Magazine. Dadurch umging die Gruppe die Prüfverfahren, die eine solche wissenschaftliche Studie in der Regel durchlaufen muss und gelangte sofort in reißerische Schlagzeilen.

Gerechtfertigte Einwände an der Methodik und den gezogenen Schlussfolgerungen gingen deshalb im Presserummel einfach unter. Eine dieser Kritiken ist der bloße Aufbau des Experiments selbst. Die Teilnehmer waren weiße, gut bezahlte Studenten, die für zwei Wochen Wachen und Gefangene spielen sollten. Damit werden direkt zwei große Fragezeichen an die Übertragbarkeits des Experiments gesetzt. Zum einen sind die Teilnehmer alles andere als repräsentativ für das eigentlich simulierte Szenario. Zum Anderen war allen Beteiligten klar, dass sie eine Rolle spielen sollten und zwar so, dass wie auch immer geartete Ergebnisse erzielt werden konnten.

Rollenspiel

Teilnehmer auf beiden Seiten haben das im Laufe der Jahre bestätigt. Wächter und Gefangene fühlten sich dazu verpflichtet Rollen zu spielen. Douglas Korpi, der Gefangene, der bereits am dritten Tag einen Zusammenbruch erlitt, sprach stets offen darüber, dass er diesen nur gespielt hatte. Angeblich wusste Zimbardo sogar davon, lies dieses kleine Detail aber gerne unter den Tisch fallen.

Der härteste der Wächter, Dave Eshleman, erschuf dafür sogar eine ganz neue Persona für das „Experiment“. Er war auf dem Weg zum professionellen Schauspieler und betrachtete die Situation als gute Improvisationsübung. Er setzte sogar einen südamerikanischen Akzent auf, den er sich mühsam antrainiert hatte. Selbst gibt er an er habe die Grenzen seiner Rolle absichtlich immer weiter ausgereizt um Ergebnisse zu erzielen. Sein Ziel sei es gewesen den Forschern etwas zugeben, mit dem sie Arbeiten können. Dazu kommt, dass der „sadistische Wachleute“-Teil der Ereignisse gerne hochgespielt wird. Obwohl alle neun Wachen schroffes Verhalten an den Tag legten zeigten lediglich drei sadistische Züge.

Dieser Rollenzwang veranlasste einen der renomierstesten Psychologen der Zeit Erich Fromm zu einer recht ernüchternden Einschätzung. Kurz nach dem Experiment schrieb er, dass das Experiment keines Falles zeige, dass die Situation allein aus guten Menschen Monstern mache. So hatte es Zimbardo damals dargestellt. Seiner Meinung nach, erzeugte das Experiment einen klaren Zwang in entsprechende extreme Rollen zufallen. Angesichts dieser Tatsache ist es eher überraschend, wie wenige der Wachen tatsächlich in sadistische Verhaltensmuster gefallen sind.

Die Lüge von Freiheit und Zwang

Selbst in diesem neuen Licht sehen die Ergebnisse immer noch recht düster für die menschliche Natur aus. Ob gespielte Rolle oder nicht, die Zustände wurden objektiv immer schlimmer und die Strafen härter. Allerdings gelang es den Psychologen Haslam und Reicher nicht die Ergebnisse des Experiments nachzustellen. Sie stellten die Studie unter den geschilderten Bedingungen nach. Anstatt das die Wachen immer dominanter und aggresiver wurden, während die Gefangenen mehr und mehr in soziale Isolation und Demut verfielen, beobachteten sie ganz andere Ergebnisse. Wachen wurden vermehrt passiv, die Gefangenen arbeiteten zusammen und gewannen immer mehr Privilegien.

Warum wird deutlich, wenn man erfährt, dass Korpis Schauspiel nicht der einzige Fakt war, den Zimbardo unter den Tisch fallen lies. Die Wachen waren nämlich alles andere als frei in ihren Entscheidungen. Viele Regeln wurden im Vorfeld nach dem Vorbild eines echten Gefängnisses aufgestellt. Auf Tonband Mitschnitten der Wärter-Einführung weist Zimbardo die Wächter an hart zu sein. Im Laufe des Experiment war oft er es der zu härterem Durchgreifen ermutigte. Nach dem Experiment bedankte er sich explizit bei Eshleman für seinen tollen Einsatz. Mehrere der Teilnehmer gaben an das Gefühl vermittelt zu bekommen Teil eines sehr zielgerichteten Schauspiels gewesen zu sein. Zimbardo hätte ein klares Ergebnis im Kopf gehabt und habe alle Beteiligten indirekt ermutigt dieses möglichst schnell zu erreichen.

Welche Lehren man aus dem Experiment somit wirklich ziehen kann, wenn überhaupt, ist deshalb eher unklar.


Medium (sehr lesenswert)

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